ASVÖ Blog
Was uns im ASVÖ bewegt:

Der Gewalt einen Baum aufstellen

03. August 2023
Mag.a Isabelle Zekely, MSc
Klaus Molidor
war lange Jahre Sportjournalist bei der Kleinen Zeitung, Chefredakteur von SPORTaktiv und ist jetzt als freier Journalist und Autor u.a. für den ASVÖ tätig.

Nicola Werdenigg wird Testimonial des Projekts, Renew4grow. Im Interview spricht sie über die Beweggründe und wie weit wir als Gesellschaft im Kampf gegen Gewalt an Frauen sind. Dem Skirennsport prophezeit sie keine allzu große Zukunft mehr.

Frau Werdenigg, wem würden Sie gerne einen Baum aufstellen?
Oh, politisch gäbe es da einiges. Aber das würde diesen Rahmen sprengen.

Sie werden Testimonial des Projekts „Renew4grow“, bei dem es ums Aufbäumen gegen Gewalt an Frauen geht. Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe einen Anruf bekommen von einer Pädagogin, die gemeinsam mit ihren Schülerinnen an diesem Projekt gearbeitet und mich gefragt hat. Und ich bin natürlich gerne dabei.

Wir haben uns vor einem Jahr schon über Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt an Frauen im Sport unterhalten. Bewegt sich da was?
Es geht weiter, ja. Es ist noch viel zu tun, aber es ist einmal das Bewusstsein dafür da. Steter Tropfen höhlt den Stein. Am meisten hat mich gefreut, dass sich die Politik bei der Umsetzung so einig war. Da hat es keine Parteienwirtschaft gegeben. Eine Partei war nicht dafür, aber alle anderen haben an einem Strang gezogen.

Was bringt ein Projekt wie Renew4grow? Ist das ein weiteres Mosaiksteinchen hin zu einem offeneren Umgang mit dem Thema? Kann das Frauen dazu bewegen, aufzustehen und zu sagen: „Heute zeige ich den an, der mir das angetan hat?“
In erster Linie ist es gut, wenn man Frauen Mut macht, denn das sind keine einfachen Schritte, die man da geht. Das zweite an solchen Projekten ist, dass man in der Öffentlichkeit immer wieder ein Zeichen setzt, damit dieses Thema einfach nicht aus dem gesellschaftlichen Diskurs verschwindet. Lange Zeit ist vieles tabu gewesen. Jetzt haben wir es geschafft, dass wir schon über vieles reden können. Aber es ist wichtig, dass man immer wieder darauf hinweist, dass immer noch Dinge passieren, obwohl schon viele gute Sachen in die Wege geleitet worden sind.

Haben Sie das Gefühl, dass es in Systemen, Institutionen, Verbänden schon zu einer Bewusstseinsveränderung gekommen ist?
Ja, im Sport, aber auch in Kunst und Kultur ist einiges passiert. Leute schauen einfach, dass sie die Compliance-Richtlinien einhalten. Wir im Sport haben ja ziemlich genaue Vorgaben, sportartenspezifisch. In Kunst und Kultur wächst das gerade. Es kann sich und will sich keine Institution und kein Arbeitgeber mehr leisten, dass er Regeln übertritt und seine Fürsorgepflicht nicht wahrnimmt. Das ist ja gesetzlich verankert. Keiner will es sich leisten, diesen Ruf zu riskieren.

Im Winter kommt auch ein Film über ihre Geschichte ins Kino: „Persona non Grata“
Es war der Arbeitstitel und ist jetzt der Filmtitel geworden. Es ist ein Film, der an meine Geschichte angelehnt ist, aber eigentlich nicht mich verkörpert. Der Film zeigt, wie es Menschen, Frauen geht, die in die Öffentlichkeit gehen, die sich äußern, nach traumatischen Erlebnissen. Da ist eine Vielschicht eingeflossen. Ich habe ja jetzt fünf Jahre lang eine Anlaufstelle für Betroffene betrieben und da sind schon Erfahrungen mit eingeflossen. Ich habe auch am Drehbuch mitgeschrieben.

Beim Projekt Renew4grow geht es auch um Nachhaltigkeit. Wie sehr sind sie mit diesem Thema befasst?
Sehr. Ich habe drei Kinder und zwei Enkelkinder. Das ist ja auch ein Menschenrecht. Wir können nicht Kinder in die Welt setzen und dann nicht drauf schauen, dass sie in einer guten Umgebung leben. Deswegen gefällt mir das Projekt Renew4grow auch so gut, weil da einfach mit dem Baum nachhaltig und in alle Richtungen gezeigt wird, dass man was tun muss.

Die Skitests in Argentinien werden also bald der Vergangenheit angehören?
Der FIS-Kalender ist nicht athletinnenfreundlich. Diese vielen Rennen in kurzer Zeit und dann auch auf vielen Kontinenten und noch einmal in die USA – auch da gibt es Unruhen und man ist mit dem FIS-Präsidenten (Johan Eliasch, Anm.) nicht zufrieden. Aber gerade der Skirennsport ist kein Sport, der noch eine wahnsinnig lange Zukunft haben wird. So leid mir das tut.

Aufgrund des Klimawandels oder aufgrund des öffentlichen Drucks wegen des Klimawandels?
Ich glaube schon wegen des Klimawandels. Ich hab jetzt Bilder aus dem Ötztal bekommen. Dort werden jetzt die Moränen planiert, damit man überhaupt wieder beschneien kann. Auf dem Gletscher! Die Gletscher werden immer rarer werden und die Beschneiung wird immer teurer werden.

Es entsteht ja gerade auch ein Dokumentations-Film mit Ihnen. Worum geht es da genau?
Da geht es nicht um mich als Person, sondern um das Thema sexualisierte Gewalt in beiden Teilen Tirols – Süd- und Nordtirol – und um die Strukturen dort, die schon ein bisschen unterschiedlich sind, obwohl sie geografisch so nah beieinander sind.

Inwiefern?
In den Tälern Südtirols sind Offenheit und Tabus noch ein bisschen anders. Da sind wir in Nordtirol schon weiter. Ich bin eine von vier Protagonistinnen, die darüber reden. Das ist eine vielschichtige Sache. Der Journalist Georg Lembergh ist an mich herangetreten und hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Durch die Recherche ist vieles ins Rollen gekommen. Ein Buch ist erschienen mit dem Titel „Wir brechen das Schweigen“. Die Uni Innsbruck hat eine Studie dazu gemacht. Da ist viel in Bewegung geraten und das hilft sehr, weil wir durch die Studie zum Beispiel belastbare Zahlen zum Missbrauch haben. Wenn es um Förderungen und Unterstützungen geht, ist das enorm wichtig.

Mit einem Blick in die Zukunft: Glauben Sie, dass Ihre Arbeit einmal nicht mehr notwendig sein wird?
Wünschen tät‘ ich mir das sehr, nur glaube ich nicht, dass das in absehbarer Zeit möglich ist. Wir haben einfach die Gesellschaftsstrukturen des Patriarchats, die stark verwurzelt sind. Natürlich sehe ich junge Männer, die anders denken und ticken. Aber bis die ganze Gesellschaft so denkt, wird es wohl noch dauern. Ich fürchte, das werde ich nicht mehr erleben.

Fotos ©Thorsten Vincetic